Ein brisantes Problem russischer Außenpolitik

Der Konflikt um Berg-Karabach bereitet Moskau seit langem großes Kopfzerbrechen. Die russisch-türkische Annäherung dürfte die gefährlichen Spannungen im Südkaukasus entschärfen.

Armenier und Aserbaidschaner sind seit Generationen verfeindet. In der zerfallenden Sowjetunion brachen alte Konflikte wieder auf. Im Februar 1988 gab es ein erstes Pogrom gegen die etwa 400.000 in Aserbaidschan lebenden Armenier. Aus dem Gebiet Berg-Karabach, das zu Aserbaidschan gehörte, aber überwiegend von Armeniern bewohnt war, wurden daraufhin tausende Aseris vertrieben. Der Konflikt spitzte sich zu, und die Moskauer Führung setzte mit gewissem ErfolgTruppen ein, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Gleichwohl kamen vermutlich hunderte Menschen ums Leben.

Ende 1991 brach die UdSSR auseinander. Der russische Präsident Boris Jelzin ordnete im April 1992 den Rückzug der russischen Truppen aus dem zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittenen Berg-Karabach an. Russland war nicht mehr bereit, Ordnungsfunktionen im Südkaukasusraum wahrzunehmen. Jelzin bat stattdessen die NATO, Truppen zu entsenden, was diese jedoch ablehnte. Die Feindseligkeiten zwischen Aserbaidschan und Armenien brachen nun in aller Härte aus. Zwischen 1992 und 1994 kamen bis zu 50.000 Menschen ums Leben. Fast alle Armenier flüchteten aus Aserbaidschan und hundertausende Aseris wurden aus Bergkarabach und den angrenzenden Gebieten, die von Armeniern besetzt wurden, vertrieben.

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Russland ging bereits während des armenisch-aserischen Krieges wieder dazu über, als Ordnungsmacht zu agieren. Moskau zwang Georgien 1993 zu einem Beitritt in die GUS, um den Landweg nach Armenien zu sichern, das Russland als unentbehrliche Schutzmacht betrachtete. Ohne die russische Präsenz wären die gewaltsamen Auseinandersetzungen womöglich noch eskaliert.

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Berg-Karabach wurde faktisch zu einem eigenen, von Armenien massiv unterstützten Staat, der von keinem Land anerkannt wird, nicht einmal von Armenien selbst. Aserbeidschan verlangt die Räumung des besetzten Territoriums, einschließlich der Rückkehr Berg-Karabachs in das eigene Staatsgebiet. Dies lehnen die Armenier ab.

Frankreich, Russland und die USA einigten sich darauf, den Konflikt gemeinsam zu lösen, aber seit 20 Jahren ohne Erfolg. Auch die Versuche der Präsidenten Wladimir Putin und Dmitri Medwedew, den Konflikt ohne Beteiligung von Paris und Washington zu lösen, schlugen fehl. Dies ist dem russischen Prestige, auf das Moskau großen Wert legt, abträglich.

Immerhin kam es mehr als 20 Jahre zu keinen großen Kampfhandlungen mehr, aber wiederholt zu Scharmützeln, bei denen insgesamt hunderte Menschen ums Leben kamen.

Aserbaidschan, das etwa dreimal so viele Einwohner wie Armenien hat, gewann seit der Jahrtausendwende aufgrund der steil ansteigenden Ölexporte und Ölpreise beträchtlich an finanziellen Möglichkeiten. Baku baute eine militärische Drohkulisse auf, um den Widersacher zu einem Nachgeben zu zwingen. 2011 überstiegen die Militärausgaben Aserbaidschans diejenigen Armeniens um das Achtfache.

2011 schien zugleich ein Angriff der USA auf den Iran denkbar. Russland fürchtete, dass Aserbaidschan in diesem Fall Armenien angreifen könnte. Russische Truppen begannen darum, nicht nur wie bislang die armenisch-türkische Grenze zu sichern, sondern auch diejenige zu Aserbaidschan. Baku sollte hierdurch von einem Angriff auf den Bündnispartner Armenien abgeschreckt werden. Andererseits wollte der Kreml die Beziehungen mit Aserbaidschan nicht belasten. Russland drang auch darum auf eine Verhandlungslösung mit dem Iran.

Der Kreml war der Ansicht, selbst erfolgreiche Luftschläge würden iranische Kernwaffen lediglich verzögern, aber nicht verhindern, falls Teheran diese tatsächlich anstrebe, was nicht sicher sei. Ein Angriff würde insbesondere den Anreiz erhöhen, Nuklearwaffen zu besitzen, um in Zukunft nicht mehr attackiert zu werden.

Nach einigen Jahren relativer Ruhe rückten im Frühjahr 2016 Truppen Aserbaidschans gegen die armenischen Einheiten im Gebiet Berg-Karabach vor, und es gab zahlreiche Tote. Baku hätte diesen Schritt ohne Rückendeckung aus Ankara nicht unternommen. Die Türkei, die die Grenze zu Armenien seit 1993 geschlossen hält, wollte nicht zuletzt Russland durch die militärischen Maßnahmen Aserbaidschans unter Druck setzen. Moskau aber sandte eine unmissverständliche Drohung an Baku, das hieraufhin zurücksteckte. Armenien ist Mitglied der russisch geführten Verteidigungsallianz „Organisation des Vertrags für Kollektive Sicherheit“. Moskau kann und will den Bündnispartner im Ernstfall nicht seinem Schicksal überlassen, sondern – nicht zuletzt mit dem Blick auf Zentralasien – als zuverlässige Ordnungsmacht gelten.

Russland strebt aber auch kooperative Beziehungen mit Aserbaidschan an, verkauft ihm sogar Waffen und hofft auf dessen Beitritt zur „Eurasischen Wirtschaftsunion“, der bislang außer Russland noch Armenien, Kasachstan, Kirgisistan und Weißrussland angehören. Auch Baku hat Interesse an guten Beziehungen mit Moskau, u.a. um das Interesse des Westens an Aserbaidschan zu erhöhen.

Erdogan und Putin einigten sich in St. Petersburg Im August 2016 auf einen trilateralen Dialog unter Hinzuziehung Aserbaidschans. Am Tag vor dem Russlandaufenthalt des türkischen Präsidenten hatte sich Putin bereits mit seinen Amtskollegen aus dem Iran und Aserbaidschan getroffen. Am Tag nach der Abreise Erdogans traf sich Putin mit dem armenischen Präsidenten.

Eine wirkliche Lösung des Konflikts um Berg-Karabach liegt noch in weiter Ferne. Aber die Aussichten auf Fortschritte im Friedensprozess sind besser als seit vielen Jahren:

  1. Russland hat seit im Frühjahr seine Position als Ordnungsmacht im Südkaukasus befestigt, was Aserbaidschan zügelt.
  2. Moskau und Ankara beginnen, in Bezug auf den armenisch-aserischen Konflikt zu kooperieren, was es seit langen Jahren nicht mehr gegeben hat.
  3. Ein westlicher Angriff auf den Iran steht seit der Einigung im Atomstreit vom Sommer 2015 nicht mehr zur Debatte, was auch die Situation auch in der Nachbarschaft des Iran beruhigt.
  4. Aserbaidschan muss seine Militärausgaben zurückfahren, da die Öleinnahmen stark gesunken sind. Die Offensive vom Frühjahr 2016 war der vermutlich letzte noch mögliche Versuch Bakus, eine militärische Überlegenheit auszuspielen.

Und Moskau entfaltet bemerkenswerte Aktivitäten von höchster Stelle, um den Konflikt um Berg-Karabach zu entschärfen. Er stand bereits mehrfach davor, auch Russland selbst in kriegerische Auseinandersetzungen zu verwickeln.

 

Quellen der Abbildungen:

Folie 1: https://commons.wikimedia.org/wiki/User:FHen; https://de.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons; https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2c/NKR_locator.png

Folie 2: http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Don-kun; http://en.wikipedia.org/wiki/de:Creative_Commons; http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de