Syrien: der erste gescheiterte Friedensversuch 2012

Die Situation um Syrien ähnelt derjenigen in der Ukraine: Russland und Deutschland bleiben ihren Positionen im Grundsatz treu, während die USA sich widerstrebend der Realität anpassen müssen.

In Bezug auf die Ukraine habe ich dies kürzlich illustriert (s. http://www.cwipperfuerth.de/2016/05/04/das-friedensabkommen-von-minsk/), hinsichtlich Syriens werfen wir einen Blick zurück:

Die bewaffneten Auseinandersetzungen hielten in Syrien zu Beginn 2012 bereits seit fast einem Jahr an. Der Bürgerkrieg war jedoch noch nicht mit voller Härte entbrannt. Marokko brachte am 4. Februar einen Resolutionsentwurf in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein. Er wurde von den westlichen und zahlreichen arabischen Staaten unterstützt und war im Vorfeld entschärft worden, um russische Bedenken zu zerstreuen. So fehlten Forderungen nach einem Waffenembargo, einem Rücktritt Assads oder gar der Möglichkeit einer militärischen Intervention. Russland legte (gemeinsam mit China) gleichwohl ein Veto ein. Moskau forderte – wie stets –, Damaskus und die Opposition zugleich zu einem Gewaltverzicht aufzufordern.

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon kritisierte Moskau und Peking ungewöhnlich deutlich. Im Westen war die Kritik und Empörung, die Lawrow als „unanständig“ und „fast hysterisch“ bezeichnete, noch lauter. Der russische Außenminister bezeichnete den Resolutionsentwurf als Einladung, „auf einer Seite in einen Bürgerkrieg einzutreten“.

Der französische Verteidigungsminister warf Russland vor, einen „blutrünstigen Diktator” zu schützen. Er fügte hinzu: „Einige politische Kulturen verdienen einen Tritt in den Hintern“, wobei er offen ließ, ob er Syrien, Russland oder beide meinte.

Auch in Russland war die Stimmung gereizt. Lawrow und der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes waren kurze Zeit vor der Abstimmung im Weltsicherheitsrat nach Syrien gereist, um zwischen der Führung und der Opposition zu vermitteln. Moskau hatte um eine Verschiebung der Abstimmung bis nach dem Ende dieser Mission nachgesucht, aber vergeblich.

Westlicher Druck war unabdingbar, um Assad zu Zugeständnissen zu veranlassen. In Moskau verfestigte sich jedoch der Eindruck, dem Westen gehe es um Geopolitik und nicht um Demokratie und Frieden. Gegenüber Russland besitze der Westen eine ähnliche Agenda, wie dort zunehmend vermutet wurde.

In Russland selbst gab es seit Dezember 2011 ungewöhnlich große und anhaltende Proteste gegen Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentswahl und gegen Präsidentschaftskandidat Putin. Für große Teile der Moskauer Führung waren sie letztlich vom Westen finanziert, initiiert und gesteuert. Hierbei wurde auf die vielen hundert Mio. US-Dollar verwiesen, die aus dem Westen an russische Oppositionskräfte bzw. Nichtregierungsorganisationen oder etwa für die russischen Radioprogramme westlicher Sender flossen.

Fähigkeiten zur Selbstkritik waren in den Führungsetagen Russlands offensichtlich unterentwickelt. Sollten zudem Summen, die zahlreiche große Unternehmen jährlich allein für ihre Produktwerbung ausgeben hinreichend sein, ein großes Land zu destabilisieren oder gar der Politik eine neue Richtung zu geben? Einige Jahre später gab es jedoch auch im Westen ähnlich Stimmen: Russland würde jährlich viele hundert Mio. US-Dollar ausgeben, um bestimmte, tendenziell fragwürdige Oppositionskräfte im Westen zu unterstützen und nehme massiv Einfluss auf den Nachrichtenmarkt. Russland wolle den Westen destabilisieren. Es müssten Gegenmaßnahmen ergriffen werden, da Moskau durch eine Art verdeckte Kriegführung massiven Einfluss auf die Innen- und insbesondere die Außenpolitik westlicher Länder nehme. (Jens Siegert, langjähriger Büroleiter der Böll-Stiftung in Russland, ein kluger Beobachter, hat hierzu einen lesenswerten Beitrag verfasst, s. http://russland.boellblog.org/2016/04/19/hybrider-krieg/.)

Im Herbst 2015 meldete sich der Träger des Friedensnobelpreises und ehemalige finnische Ministerpräsident Martii Ahtisaari zu Wort. Er hatte Anfang Februar 2012 Gespräche mit den UN-Botschaftern der drei westlichen Vetomächte Frankreich, Großbritannien und den USA geführt. Ahtisaari sagte, Russland habe erklärt, mit dazu beizutragen, dass Assad als Teil eines Friedensabkommens zurücktrete. Die drei westlichen Mächte seien vom Sturz Assads aber so überzeugt gewesen, dass sie den russischen Vorschlag ignorierten. Zu dieser Zeit wurde die Anzahl der Todesopfer im syrischen Bürgerkrieg von der UN auf 7.500 geschätzt.

Der russische Vorschlag kam jedoch nicht von der Führung aus Moskau, sondern lediglich vom russischen UN-Botschafter (http://www.theguardian.com/world/2015/sep/15/west-ignored-russian-offer-in-2012-to-have-syrias-assad-step-aside). Vielleicht war er darum nicht wirklich ernst zu nehmen, sondern sollte lediglich Unsicherheit im Lager der Assad-Gegner hervorrufen?

Lakhdar Brahimi, der ehemalige Syrien-Sondergesandte der UN, sagte im März 2016, der Syrien-Krieg hätte aufgrund des erwähnten russischen Vorschlags bereits 2012 beendet werden können. Der algerische Diplomat war sich also sicher. „Die westlichen Mächte ignorierten damals das Angebot der Russen, Assad zum Rücktritt zu zwingen.“ „Die Russen kannten die Lage in Syrien. Sie haben sie viel realistischer analysiert als alle anderen.“ Er warf den auswärtigen Mächten grundsätzlich vor, nie die Interessen des syrischen Volks im Blick gehabt zu haben, sondern lediglich die „eigenen Ziele“ (http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4944535/SyrienKrieg-haette-2012-beendet-werden-konnen?_vl_backlink=/home/politik/aussenpolitik/index.do). Die Episode ähnelt derjenigen in der Ukraine vom Sommer 2014: Deutschland betonte unermüdlich, es könne nur eine friedliche Lösung geben, während die USA auf einen Durchmarsch setzten. Und scheiterten.

Lawrow wiederholte Ende März die russische Haltung, dass alle Bürgerkriegsparteien die Waffen zur gleichen Zeit niederlegen müssten. Das US-Außenministerium erklärte hingegen, die syrische Führung müsse den ersten Schritt tun, erst danach sei ein Waffenstillstand denkbar. Zu dieser Zeit hielt sich US-Verteidigungsminister Panetta in Kirgisistan auf. Russische Kampfflugzeuge des nahe gelegenen Stützpunkts flogen demonstrativ über Panetta hinweg, was bei ähnlichen Gelegenheiten zuvor noch nie der Fall gewesen war. Russland ließ seine Muskeln spielen.

Im Frühjahr entspannte sich die Situation  in Syrien spürbar. Seit dem 12. April war in Syrien eine Feuerpause in Kraft, die von UN-Beobachtern unter dem Sondergesandten Kofi Annan, ihres ehemaligen Generalsekretärs, überwacht wurde. Es kam vereinzelt zwar weiterhin zu Gefechten, die bis Ende April jedoch nachließen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren etwa 9.000 Menschen ums Leben gekommen. Moskau und Washington zogen zeitweise an einem Strang.

Anfang Juni machte der neu- und wiedergewählte Präsident Putin seinen Antrittsbesuch in Deutschland. Die Situation in Syrien stand mit im Zentrum der Gespräche. Bundeskanzlerin Merkel stellte heraus, sich mit ihrem Gesprächspartner über die grundsätzliche Beurteilung der Lage in Syrien einig zu sein, es jedoch „ab und zu“ Unterschiede gebe. „Wir setzen auf eine politische Lösung“, betonte die Regierungschefin. Hierfür hatte Berlin durchweg plädiert, anders als andere westliche Hauptstädte. Der russische Gast mahnte, den Friedensplan Kofi Annans nicht aufzugeben und zu Geduld.

Der Friedensversuch scheiterte. Nunmehr, einige Jahre später, die hunderttausende Menschenleben kosteten, gibt es eine erneute, große, aber gefährdete Chance.