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Am 8.Oktober hat die weißrussische Journalistin und Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch den Literaturnobelpreis verliehen bekommen. Sie gab dies bereits vor der offiziellen Erklärung der Schwedischen Akademie über „Twitter“ bekannt.

Ich habe vor nicht allzu langer Zeit einen Menschen, den ich schätze (und der keine besonderen Bezüge zu Russland hat), gefragt, welche Bücher er empfehlen könne. Er nannte mir u.a. „Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus“ von Alexijewitsch. Ich habe das Buch in der Bibliothek ausgeliehen. Und mochte es kaum mehr aus der Hand legen, obwohl es fast 600 Seiten umfasst.

Ich hatte ohnedies vor, Ihnen über dieses Buch zu berichten, nun ziehe ich es aus aktuellem Anlass also vor.

Inhalt sind die Eindrücke und Erlebnisse Dutzender ehemaliger Sowjetbürger, nicht nur, aber insbesondere von Russen, die von der Autorin befragt wurden. Sie selbst tritt fast nicht Erscheinung, sodass man den Eindruck hat, nacheinander vielen einzelnen Menschen bei einer sehr persönlichen Geschichte zuzuhören. Die immer eng mit politischen Entwicklungen der Sowjetunion bzw. Russlands in den vergangenen 80 Jahren verbunden ist. Kommunistische Enthusiasten und sowjetische bzw. russische Nationalisten werden gehört. Mal waren sie Amboss, mal Hammer. Häufig beides. Entschiedene Gegner des Systems kommen zu Wort. Und die unpolitischen Menschen, wie sie in allen Ländern und zu allen Zeiten überwiegen. Der russische „Otto Normalbürger“ spricht, ein Menschen, der sonst nicht gehört wird.

Die Erlebnisse sind häufig schier herzzerreißend, aber sie handeln auch von großem Mut und Liebe. Und im letzten Teil von den Wirren der 1990er Jahre und den anhaltenden Nachwirkungen der sowjetisch-russischen Geschichte. Ich habe kaum je ein solch beeindruckendes Buch gelesen und hatte den Eindruck, die Weltsicht von Russen, ihre Sprache, ja sogar ihren Humor wieder zu erkennen.

Man fühlt mit, mit den Opfern. Mit denjenigen, die trotz allem dem kommunistischen Ideal anhängen. Ja, sogar ein wenig mit den Tätern …

Es ist ein Buch über die Menschen der untergangenen UdSSR, und auch eines über das heutige Russland und die Russen. Denn derartige Erlebnisse wirken nach, mehrere Generationen. Und es ist ein Buch über den Menschen an sich, wie grauenvoll und schwach er ist, über seinen Lebenswillen und seine Größe. Und wie abhängig all dies ist von seinen Lebensumständen, seiner Zeit und seinem jeweiligen Land.